Mittwoch, 27. Februar 2019

Erläuterungen zum Vogelgesang:

Ernst Paul Dörfler, Nestwärme:

"Vogelmännchen sind ... oft tolle Sänger. Weibchen in jedem Fall tolle Zuhörerinnen. Wenn ein Vogelmännchen erstklassig singt, löst das beim Weibchen Glücksgefühle aus. Das mag vermenschlichend klingen, ist es aber nicht. Die substanzielle Basis dieser Gefühlsregungen ist analytisch nachweisbar."

"Intensiver, leidenschaftlicher Gesang geht nicht nur unter die Haut, er liefert auch Information über die inneren Werte. Dafür interessieren sich ganz besonders die Weibchen, um die Männchen in ihrer Vitalität einschätzen zu können. Welche Gesangskriterien sind für Vogelweibchen wichtig? In erster Linie ist die Lautstärke des Männchens entscheidend ... Nicht alle Vögel ein und derselben Art singen gleich laut. Es gibt laute und leise Sänger. ... Wenn Weibchen laute Sänger gegenüber leisen Flüsterern bevorzugen, dann entscheiden sie sich für ein Männchen in guter Kondition. Der Aufbau einer guten körperlichen Verfassung ist also der Preis, den man für das laute Singen zu entrichten hat. Wer laut trällert, hat die besseren Chancen - aber auch höhere Risiken. Wer sich mit lautem Gesang hervortut, muss mit aggressiven Reaktionen anderer Männchen rechnen. Wer also nicht die Kraft aufbringt, sich mit seinen Artgenossen anzulegen, hält lieber den Schnabel oder äußert sich bestenfalls leise."

"Lautstärke ist wichtig, aber sie ist nicht alles. Es geht den Weibchen auch um Vielfalt und Virtuosität. Innerhalb einzelner Arten ist der Gesang von Vogel zu Vogel individuell verschieden. Jedes Männchen hat seinen eigenen Liedschatz, selbst wenn wir mit unserem vergleichsweise schwach entwickeltem Gehör die Unterschiede von Sänger zu Sänger oft nicht wahrnehmen. Manche Vögel trällern schneller, höher und länger als andere. Die Weibchen achten vor allem auf schnelle Silben im hohen Frequenzbereich, die schwierig zu singen sind, quasi auf Männchen-Sopranstimmen, auch als >Sexy-Silben< bezeichnet. Manche Männchen treffen diese verführerische Noten, andere nicht. Musikalische Vielfalt ist ebenso ein ehrliches Qualitätskriterium des Sängers wie die Lautstärke."

"Weibchen werden durch besonders lauten und vielseitigen Gesang nicht nur angelockt, sondern auch sexuell stimuliert. Somit ist der Gesang auch ein Ergebnis der sexuellen Auslese. Die herausragendsten Sänger haben die besten Chancen auf Verpaarung. Und warum sind die Weibchen im Gesang so wenig talentiert? Man könnte meinen, dass Weibchen diese Selbstinszenierung nicht nötig haben. Aber es gibt noch andere Erklärungen. Die Ursachen der Geschlechtsunterschiede liegen im Gehirn. Gesang und Sex werden durch die Hirnstruktur gesteuert. Im Gesangzentrum der Singvögel liegen die Schaltstellen für das Lernen und Produzieren von Gesang. Hier befinden sich die Nervenzellen mit den Rezeptoren, an denen Sexualhormone andocken können. Auf dem Pfad steuern die Wirkstoffe das Gesangsystem. Experimentell wurden frisch geschlüpfte weibliche Zebrafinken mit dem männlichen Hormon Testosteron behandelt. In Folge begann sich das Gesangsystem zu entwickeln. Auch erwachsene Kanarienvogelweibchen lassen sich durch Testosterongaben vorübergehend zum Singen bringen. Diese Weibchengesänge ähneln denen der Männchen, es sind die sexuelle attraktiven Gesangsmuster. Die Fähigkeit der Vögel zum Gesang hat also Wurzeln im männlichen Sexualhormon."

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