Dienstag, 28. Januar 2025

"Machtkampf" nach der Kennenlernphase:

In vielen Partnerschaften kommt es nach einer gewissen „Honeymoon-Phase“ oder Kennenlernphase tatsächlich zu einer Phase, in der die beiden Partner unbewusst oder bewusst darum ringen, ihre Identität, Bedürfnisse und Grenzen im gemeinsamen Beziehungsgefüge zu definieren. Dieser sogenannte „Machtkampf“ ist nicht zwingend ein Zeichen dafür, dass die Beziehung scheitern wird. 

Warum passiert das?

  1. Verlust der „rosaroten Brille“
    In den ersten Monaten einer Beziehung (der sogenannten Honeymoon- oder Verliebtheitsphase) sind wir oft stark auf den positiven, idealisierten Aspekt des Partners und der Partnerschaft fokussiert. Man nimmt Ungereimtheiten weniger wahr oder stellt eigene Ansprüche erstmal zurück. Nach dieser Phase kommt jedoch meist ein realistischerer Blick auf den Partner und die Beziehung – und es tauchen Unterschiede, Unstimmigkeiten oder Konflikte deutlicher auf.

  2. Bedürfnis nach Autonomie und Individualität
    Gerade in der Anfangsphase verschmelzen viele Paare beinahe miteinander, man verbringt viel Zeit zusammen, entwickelt ein starkes Wir-Gefühl. Nach einer Weile wird jedoch das Bedürfnis nach Eigenständigkeit wieder deutlicher. Jeder will seine eigenen Hobbys, Interessen und Freundeskreise wahren oder zurückgewinnen. Dieses Ausbalancieren zwischen dem Wir und dem Ich führt oft zu Spannungen, denn man muss sich untereinander neu orientieren: Wo sind meine persönlichen Grenzen? Welche Freiheiten brauche ich, welche der andere?

  3. Ungelöste Konflikte oder frühere Muster
    Jeder Mensch bringt eigene Erfahrungen, Prägungen und Erwartungen aus der Vergangenheit mit (z. B. aus Kindheit, früheren Beziehungen). Solange man noch von der euphorischen Verliebtheit getragen wird, bleiben diese Muster oft inaktiv oder treten in den Hintergrund. Doch je vertrauter man miteinander wird, desto eher werden alte Ängste, Eifersuchtsmuster oder auch kindliche Reaktionsweisen (etwa Trotz) wieder aktiviert. Es kommt zu einem inneren Bedürfnis, diese Unsicherheiten auszutarieren und den Platz in der Beziehung neu zu definieren.

  4. Angst vor (emotionaler) Abhängigkeit
    Wenn man sich zu sehr „verliert“ und das Gefühl hat, der Partner könnte über das eigene Wohlbefinden bestimmen, beginnen Menschen oft, (unbewusst) die eigenen Grenzen abzustecken. Man will auf keinen Fall die Kontrolle verlieren oder sich „verloren“ fühlen. Dies kann sich als „Machtkampf“ äußern, bei dem es darum geht, wer sich wie weit auf Kompromisse einlässt oder bei wem die eigenen Bedürfnisse Vorrang haben.

  5. Einfordern von Verantwortungsbereichen
    Gerade wenn Paare beginnen, den Alltag stärker zu teilen (Wohnung, Finanzen, Zukunftsplanung etc.), stellt sich praktisch die Frage: „Wer entscheidet was?“ oder „Wer trägt für welchen Bereich Verantwortung?“ Ob es um Geld, Haushalt oder soziale Kontakte geht: Oft werden hier Rollen noch einmal neu oder klarer verteilt. Dabei kann es durchaus zu Konflikten kommen, wenn beide – bewusst oder unbewusst – auf ihre jeweilige Position, ihre Weise oder ihre Meinung beharren.

  6. Natürliche Weiterentwicklung der Beziehung
    Beziehungen durchlaufen verschiedene Phasen: vom ersten Verliebtsein über das Ausloten der Gemeinsamkeiten und Unterschiede bis zum Etablieren eines „Team-Gefühls“. Dieses Austarieren ist ein normaler Prozess der Teamentwicklung (vergleichbar mit Phasen wie „Forming“, „Storming“, „Norming“, „Performing“ in Gruppendynamiken). Die „Machtkampf“-Phase lässt sich meist der „Storming“-Phase zuordnen, in der Konflikte ausgetragen werden müssen, um zu klaren gemeinsamen Regeln und Rollen zu kommen.

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