"Der Mensch überragt in kognitiv-geistiger Hinsicht auch
bei kritischer Betrachtung alle anderen Tiere. Aber ist er darin
wirklich einzigartig? Wenn wir die kognitiven Leistungen der
intelligentesten nichtmenschlichen Tiere, der Schimpansen und Gorillas, mit denen des Menschen vergleichen, so kommen wir
zu dem Schluss, dass sie in den meisten kognitiv-geistigen Fähigkeiten dem Entwicklungsstand eines zweieinhalb- bis fünfjährigen
Kindes entsprechen. Hinsichtlich der Sprachfähigkeit
sind Schimpansen und Gorillas eher mit einem dreijährigen
Kind vergleichbar, hinsichtlich psychosozialer Fähigkeiten eher
mit einem vier- bis fünfjährigen Kind. Damit führt die Frage,
ob sich menschliche Intelligenzleistungen quantitativ oder qualitativ
von tierischen unterscheiden, überraschenderweise zu der
Frage, ob ein Jugendlicher oder ein Erwachsener einem drei- bis
fünfjährigen Kind auf kognitiv-geistiger Ebene quantitativ oder
qualitativ überlegen ist. Abgesehen von der Ausreifung sozialer
Kompetenzen geht es hierbei im Wesentlichen um die Entwicklung
der syntaktisch-grammatischen Sprache in einem Alter
von rund zweieinhalb Jahren, die beim Menschen einen großen
intellektuellen und kommunikativen Schub auslöst. Ich habe [zuvor] dargelegt, dass eine
wichtige Bedeutung dieser syntaktisch-grammatikalischen Sprache
in der enormen Steigerung des Arbeitsgedächtnisses besteht
und damit der Fähigkeit, aktuell neuartige Probleme oder
bereits vorhandene Probleme neuartig zu lösen, also in dem,
was man Intelligenz nennt. Die Sprache wird somit zu einem gewaltigen
Intelligenzverstärker, wie es später die Schrift und noch
später der Computer sind."
Wie einzigartig ist der Mensch?
Gerhard Roth (2010)
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