"... Bei vielen komplexen Entscheidungen haben wir das Gefühl, wir sollten uns in einer bestimmten Weise entscheiden, wir können aber keine detaillierten Gründe dafür angeben.
Dies wird oft als >Bauchgefühl< bezeichnet, aber man sollte unter >Bauchgefühlen< eher starke Affekte und Motive verstehen, die uns massiv zu irgendetwas drängen, und solche Zustände treten meist in Situationen auf, die von hohem Stress begleitet sind. Das ist bei Intuitionen anders - sie drängen nicht, sondern legen nahe.
Solche Intuitionen begegnen uns auch beim Bemühen, etwas Kompliziertes zu verstehen, bei künstlerischer oder erfinderischer Tätigkeit. Charakterischerweise zeigen Willensanstrengung und Konzentration meist keine Wirkung, und die >Lösung< ergibt sich in der Regel erst nach einer längeren Pause, in der wir nicht mehr intensiv danach gesucht haben oder völlig abgelenkt sind.
Intuitives Problemlösen unterscheidet sich also qualitativ vom gedanklich konzentrierten Problemlösen dadurch, dass es nicht in klaren rationalen Schritten geschieht, sondern in scheinbar verdeckter Weise, wobei die Lösungsversuche anstrengungslos und ohne Detailerleben verlaufen. Allerdings haben kreative Denker, Erfinder oder Künstler oft das Gefühl, einer Lösung nahe zu sein, sie nur nicht fassen zu können.
Das Langzeitgedächtnis ist der Ort unserer gesamten Erfahrungen und unseres Wissens, sofern diese einmal bewusst waren. Diese Inhalte werden jedoch ... analog zur technischen >Datenkompression< in immer kompakterer Weise gespeichert und auch in dieser kompakten Weise erinnert, wenn sie nicht durch aktives Erinnern wieder >entpackt< werden können. Derart komprimierte Inhalte werden parallel-distributiv verarbeitet und unterliegen deshalb nicht den Beschränkungen des sequenziell arbeitenden Arbeitsgedächtnisses. Deshalb verfügen sie über eine viel höhere Verarbeitungskompetenz, sie brauchen dafür jedoch Zeit, und deshalb sagen wir etwa bei schwierigen Entscheidungen, wir müssten >eine Nacht darüber schlafen<. ..."
Coaching, Beratung und Gehirn
G. Roth & A. Ryba (2016)
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