Samstag, 16. März 2019

Kreativität:

>Kreativität besteht aus zwei getrennten Prozessen. Das neuronale Netz - oder Teile davon ...- liefert eine chaotische Masse möglicher Assoziationen, Entwürfe, Tonfolgen. Aber die fliegenden Gedankenfetzen dieses Brain-Stormings sind überwiegend unbrauchbar und wertlos. Bevor sie bewusst und mitteilbar werden, greift daher ein zweiter Prozess, die ordnende und auswählende Macht des Stirnhirns ein. Erst durch sein Wirken entstehen angemessene Beiträge zu einem Problem. Und nur, wenn es angemessen ist, erfüllt das Neue die Definition von "kreativ". Das Weglassen, Fort-Kritisieren, Auswählen ist also ein zentraler, untrennbarer Bestandteil des kreativen Schaffens. ... 

Kreativitätsforscher haben diesen Antagonismus aus wuchernden Material und strenger Auswahl in unterschiedlichen Begriffen und auf unterschiedlichen Betrachtungsebenen beschrieben. Auch diffuse Aufmerksamkeit .... liefert ja einen breiten Zugriff auf zu viele Daten. Ständig die Aufmerksamkeit zwischen der Fülle von Sinneseindrücken zu streuen, würde angepasstes Verhalten unmöglich machen und zur Diagnose Schizophrenie führen. Kreative Menschen brauchen daher die Fähigkeit, aus der Verstreutheit bei Bedarf wieder zur Fokussierung zu wechseln. Es ist wohl kein Zufall, dass sich die neuronale Sammellinse der Aufmerksamkeit im seitlichen Stirnhirn befindet. Besonders im linken. Und dass eine Leistungsschwäche derselben Region - also des seitlichen Stirnhirns beider Hemisphären, besonders aber der linken - unter der Bezeichung "Hypofrontalität" als eine neuronale Grundlage der Schizophrenie gilt.<

Konrad Lehmann - Das schöpferische Gehirn

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Filterschwäche & Kreativität:

Bei Personen mit "Filterschwäche" wird weniger Information automatisch weggefiltert, also gelangt tendenziell mehr Information ins Bewusstsein. Im Fall der Schizophrenie kann das solche Ausmaße erreichen, dass ein effektives Zurechtfinden in der Welt dauerhaft verhindert wird. D.h. diverse an dieser Erkrankung leidende Personen sind nicht mehr in der Lage, alltägliche Aufgaben zu bewältigen. Bei hoher Intelligenz und moderater Filterschwäche kann eine Person das Mehr an Information allerdings noch bewusst bearbeiten, selektieren und bewältigen. Das bewusste Filtern führt nun, verglichen mit dem automatischen Filtern, unter geeigneten Bedingungen zu kreativeren Resultaten.

[In meinen Augen macht sich solch eine moderate Filterschwäche in den Interviews des über 80-jährigen James Watson bemerkbar. Vergleicht man diese Interviews mit Interviews eines ebenfalls über 80-jährigen Freeman Dyson, tritt der Unterschied deutlich ins Auge. Wenn die Veranlagung für Schizophrenie aus dem Genom einer Bevölkerung restlos entfernt werden würde, so hätte das vermutlich auch einen negativen Effekt auf die Häufigkeit des Auftretens von kreativen Spitzenleistungen in eben dieser Bevölkerung.]

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